Vermeidung von R/D-Mittel-Rückständen in Rohmilch

Martin Kühberger
LfL-Bayern, Institut für Landtechnik und Tierhaltung

Die Produktion von qualitativ hochwertigen und unbelasteten Milchprodukten ist oberstes Ziel sowohl der Milchproduzenten als auch der nachgelagerten Milchwirtschaft.
Eine unsachgemäße oder fehlerhafte Reinigung/Desinfektion (R/D) der Melkanlage oder des Milchtanks kann zu unerwünschten Einträgen von R/D-Mittel-Rückständen in die Rohmilch führen. Diskutiert wurden in der Vergangenheit verschiedentlich Rückstandsprobleme aufgrund chlorhaltiger R/D-Mittel (hier insbesondere: Trichlormethan bzw. Chloroform).

Im Jahr 2012 wurden Rückstände von Quartären Ammoniumverbindungen (QAV) auf Gemüse gefunden. In der Folge kam es zu breiter angelegten Untersuchungen verschiedenster Lebens- und Futtermittel in Bezug auf diese Stoffgruppe. Bei den tierischen Lebensmitteln rückten aufgrund entsprechender Rückstandsnachweise schnell Milch- und Milchprodukte in den Fokus.
Die Rückstandsfunde von QAV waren der Anlass für ein Screening auf R/D-Mittel-Rückstände in Bayern, dessen Ergebnisse und Folgerungen im Folgenden dargestellt werden.

 Im Bereich der Milchgewinnung werden QAV aufgrund ihrer bioziden Wirkung insbesondere in R/D-Mitteln für Melkanlagen und Milchtanks eingesetzt. Quartäre Ammoniumverbindungen zählen zu den organischen Ammoniumverbindungen und gehören zur Gruppe der kationischen Tenside. Als desinfizierende Komponente werden insbesondere die beiden Stoffgruppen BAC (Benzalkoniumchlorid) und DDAC (Didecyldimethylbenzylammoniumchlorid) seit Jahrzehnten eingesetzt.
QAV weisen eine hohe Oberflächenaktivität aus. Durch diese Eigenschaft verbessern sie einerseits den Wascheffekt (sogenannte „waschaktive Substanzen“), andererseits wirken sie durch die Reaktion mit Oberflächenlipiden von Mikroben biozid. Gleichzeitig führt diese Oberflächenadsorbtion aber auch dazu, dass die QAV einen bakteriostatischen Film auf den benetzten Teilen bilden, der schwer abspülbar ist, und der Rückstandsprobleme in der daraufhin ermolkenen Milch bewirken kann.

Grenzwerte für BAC und DDAC
Nach Bekanntwerden der QAV-Problematik wurden vom „Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit“ (SCoFCAH) der EU-Kommission für die beiden Stoffgruppen BAC und DDAC Grenzwerte von jeweils 0,5 mg/kg Lebens-/Futtermittel festgelegt. Diese gelten bis auf Weiteres. Damit dürfen Lebens- oder Futtermittel mit einem höheren Gehalt nicht in den Verkehr gebracht werden bzw. müssen aus dem Verkehr gezogen werden.

Das „Bundesinstitut für Risikobewertung“ (BfR) weist in seiner Stellungnahme zur QAV-Problematik (vom 13.07.2012) darauf hin, dass:

  • – keine repräsentativen Monitoringdaten für Belastungen von Lebens-/Futtermitteln auf BAC vorliegen,
  • – auf eine deutliche Senkung der Rückstände dringend hingearbeitet werden sollte,
  • – auf der Grundlage der verfügbaren Daten, nicht abgeleitet werden kann, welches Rückstandsniveau bei guter Anwendungspraxis als „unvermeidbar“ anzusehen ist, und
  • – klare Leitlinien zur Durchführung effektiver Wasch- und Reinigungsprozeduren nach der eigentlichen Desinfektion etabliert werden sollen.

Projektkonzeption
Aufgrund der aufgetretenen „QAV-Problematik“ wurde in Bayern 2012 ein Projekt initiiert, in dessen Rahmen weitergehende Informationen zur QAV-Rückstandssituation erhoben und ausgewertet und Beratungsrichtlinien erarbeitet werden sollten.
In einem ersten Schritt (Modul 1) wurde anhand eines Screenings die aktuelle QAV-Rückstandssituation der Rohmilch ermittelt. Der Schwerpunkt wurde dabei auf Regionen gelegt in denen, aufgrund vorhergehender Analysen bzw. aufgrund weiterer Kriterien, erhöhte QAV-Werte zu erwarten waren. Parallel dazu wurde in das Screening die Untersuchung auf „Halogenierte Kohlenwasserstoffe“ (HKW, z. B. Trichlormethan) aufgenommen, um zu erkennen, wie sich in den untersuchten Regionen die Rückstandssituation bezüglich dieser Stoffgruppe darstellt.

Ergebnisse
Von den an der Untersuchung beteiligten 17 Molkereien wurden rund 40 % der bayerischen Milchproduktion erfasst. Es waren schwerpunktmäßig Molkereien mit konventioneller Vermarkung, aber auch „Bio-Molkereien“ vertreten.
BAC wurde in 71,1 % der Sammelwagen festgestellt (siehe Abb. 1), DDAC hingegen nur in 2,0 % der Sammelwagen. In der Rohmilch der insgesamt 149 untersuchten Sammelwagen (Mischmilch verschiedener Lieferanten) konnte keine Überschreitung des Grenzwertes für QAV (oder Halogenierte Kohlenwasserstoffe – HKW) festgestellt werden. Im Mittel lag der Gehalt an BAC in den beprobten Sammelwagen bei 0,034 mg/kg.
Von 20 Touren, die erhöhte QAV-Gehalte aufwiesen, wurde die Rohmilch der Einzellieferanten untersucht (361 Proben). Bei diesen ausgewählten Touren mit erhöhten QAV-Gehalten wurden von 6,4 % der Lieferanten die gültigen Grenzwerte für BAC/DDAC überschritten.

Abb. 1: BAC-Gehalte der untersuchten Tanktouren  
(Anmerkung: Auswahl von Touren bei denen früher bereits auffällige QAV-Gehalte ermittelt wurden bzw. zu erwarten waren)

Bezüglich Trichlormethan (TCM) lagen rund drei Viertel der Touren bei einem Wert von 1 µg/kg und weniger. Allerdings lagen 11 % der Touren über dem Warnwert der MUVA für konventionelle Rohmilch (2 µg/kg Milch). Von den untersuchten 95 Einzellieferanten (4 Touren mit erhöhtem TCM-Gehalt) wiesen 4,2 % TCM-Gehalte von > 4 µg/kg Milch auf. Der Grenzwert bezüglich TCM (0,1 mg/kg) wurde von einem Betrieb überschritten.

Da der Untersuchungsschwerpunkt auf bestimmte Regionen gelegt wurde und die Lieferanten gezielt aus auffälligen Sammelwagen-Touren untersucht wurden, handelt es sich nicht um ein repräsentatives Monitoring für z. B. Bayern.

Es wurde festgestellt, dass der Gesamt-Rückstandsgehalt der Milch der Sammelwagen in hohem Maße von Einzellieferanten bestimmt wurde. Dies war besonders ausgeprägt bezüglich des Rückstandes TCM zu beobachten. Aber auch bei den Touren, die wegen hohen BAC-Gehalten für die Untersuchung ausgewählt wurden, wurde der BAC-Gesamtgehalt der Tour im Schnitt zu 55 % von einem einzelnen Erzeuger verursacht.
Aus den Rückstandsdaten der Sammeltouren konnte die Vermutung, dass in Regionen mit kleinstrukturierter Milcherzeugung (viele Lieferanten je Tour) höhere QAV-Gehalte auftreten, nicht bestätigt werden. Allerdings zeigte sich bei Erzeugern mit einer geringen Liefermenge eher ein Risiko mit stark erhöhten QAV-Gehalten aufzufallen. Es wird angenommen, dass bei höheren Anlieferungsmengen durch den „Verdünnungseffekt“ in der Regel weniger hohe QAV-Rückstandsgehalte auftreten.

Die QAV-Gehalte der Milch sanken bei Erzeugern, die auf QAV-freie R/D-Mittel umstellten stark ab, jedoch wurden bei sehr hohen QAV-Ausgangsgehalten und bei kurzen Zeiträumen zwischen Umstellung und Nachbeprobung (< 1 Woche), weiterhin QAV-Gehalte auf niedrigem Niveau ermittelt. Es muss angenommen werden, dass es einige Tage bis Wochen dauert, bis „Reste“ an QAV aus dem Leitungssystem ausgespült werden (siehe Abb. 2).

Abb. 2: QAV-Gehalte vor/nach Umstellung auf QAV-freie R/D-Mittel

Es wurden rund 40 Erzeuger (schwerpunktmäßig Betriebe mit stark erhöhten QAV-Gehalten) Vor-Ort besucht und Daten zum Betrieb bzw. der verwendeten Melktechnik und R/D erhoben. Es zeigte sich, dass mehr Betriebe mit Absauganlagen mit hohen QAV-Werten auffällig wurden. Die Überprüfung der R/D-Automaten und deren Wartung erwiesen sich in der Praxis in vielen Fällen als verbesserungswürdig. Der Informationsstand der Landwirte (aber zum Teil auch des Handels) zu den eingesetzten R/D-Mitteln und den entsprechenden Wirkstoffen war in weiten Teilen mangelhaft. Dies war auch darin begründet, dass die vom R/D-Mittelhersteller zur Verfügung gestellten Informationen zum Teil lückenhaft bzw. schlecht aufbereitet waren.

Als Reaktion auf die „QAV-Problematik“ haben die meisten Molkereien die Erzeuger aufgefordert auf den Einsatz von entsprechenden R/D-Mitteln zu verzichten bzw. diese Mittel verboten. In der Folge waren, nach Angaben der Molkereien, sinkende QAV-Gehalte in der Anlieferungsmilch zu beobachten. Der Absatz von QAV-haltigen R/D-Mitteln ist stark zurück gegangen. Demzufolge ist mit weiter sinkenden QAV-Werten zu rechnen.
Die Milcherzeuger müssen in dieser Situation auf alternative Wirkstoffe bzw. R/D-Mittel ausweichen. Allerdings sind auch bei anderen Wirkstoffen, bei unsachgemäßer Handhabung oder falscher Einstellung der R/D, Rückstände in der Milch nicht ausgeschlossen (z. B. Trichlormethan, Jod…). Die Auswahl des zum Produktionsverfahren passenden R/D-Mittels wird zudem eingeschränkt, so dass ein generelles Verbot von QAV als Wirkstoff auch Nachteile mit sich bringt.

  • Als Folgerungen aus dem Screening und den Beobachtungen bei den Betriebsbesuchen werden in folgenden Punkten Verbesserungspotentiale gesehen:
  • Anpassung des Untersuchungsspektrums der Monitoring-Programme
  • Praxisgerechte, nachvollziehbare und umfassende Information der Milcherzeuger bezüglich der R/D-Mittel und deren Handhabung
  • Aufklärung und Weiterbildung der entsprechenden Beratungsträger im Bereich der R/D und Stärkung dieses Bereiches in der Beratungsarbeit
  • Berücksichtigung der Molkereien und deren Erzeugerberatern in diesem Punkt (direkter Kontakt zu den Milcherzeugern)
  • Untersuchungen zum Rückstandsverhalten von QAV-haltigen R/D-Mitteln beim Einsatz in Melkanlagen werden als notwendig erachtet
  • Standardisierte Untersuchungen zum Rückstandsverhalten von bioziden Wirkstoffen sollten nach Möglichkeit etabliert werden

Ausblick
In einem zweiten Schritt sollen im dargestellten Projekt in Beispiels-Melkanlagen Versuche durchgeführt werden, um belastbare Aussagen zum Rückstandsniveau von QAV bei ordnungsgemäßer R/D der Melkanlage bzw. bei abweichenden Einstellungen zu erhalten. Weiterhin sollen Beratungsempfehlungen zur Vermeidung von Rückständen erarbeitet und in besonders betroffenen Milchviehbetrieben der Erfolg von einzelbetrieblichen Verbesserungsmaßnahmen zur Verminderung von QAV evaluiert werden.

Die Ergebnisse der Untersuchung (Modul 1, inkl. ausführlichem Projektbericht), sind auf der Internetseite der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft veröffentlicht:
http://www.lfl.bayern.de/ilt/tierhaltung/rinder/023118

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